Die Ujazdowskie-Allee ist eine der prestigeträchtigsten Straßen Warschaus, bekannt für ihre repräsentativen Gebäude und ihre historische Bedeutung. Entlang dieser malerischen Straße wurden zahlreiche elegante Stadthäuser, Villen und Regierungsgebäude errichtet, die noch immer durch ihre architektonische Pracht beeindrucken. Eines dieser Gebäude ist das Haus von Henryk Kolberg in der Hausnummer 19, das heute von der einstigen Pracht dieses Stadtteils zeugt. Heute ist das Gebäude jedoch dringend renovierungsbedürftig.
Das Kolberg-Haus: Geschichte und Architektur
Gegenüber dem Eingang zum Ujazdowski-Park wurde zwischen 1911 und 1913 ein fünfstöckiges, repräsentatives Mietshaus nach einem Entwurf von Stanisław Grochowicz im Auftrag von Henryk Wilhelm Kolberg errichtet. Das Gebäude verbindet Merkmale der frühen Moderne mit neoklassizistischen Dekorationselementen, zu denen vor allem Flachreliefs mit Greifen, Allegorien der vier Jahreszeiten und Sphinxen unter den Erkern gehören. Ein charakteristisches Detail der Fassade war die beeindruckende zweistöckige Loggia, die von einer großen Terrasse im dritten Stock gekrönt wurde. Im ersten Stock befand sich die geräumige Wohnung des Eigentümers, während die oberen Stockwerke für luxuriöse Mietwohnungen genutzt wurden. Das Mietshaus war für die damalige Zeit äußerst modern – es verfügte über Strom-, Gas- und Zentralheizungsanschlüsse sowie Aufzüge, was den Komfort der Bewohner deutlich erhöhte.
Luxuriöse Innenausstattung
Das Gebäude glänzte durch seine hochwertige Ausstattung. Das Eingangstor war mit Platten aus dunklem Marmor verkleidet, und für die Treppenhäuser wurde rosa Marmor aus Ungarn importiert. Die Eingangstüren zu den Wohnungen waren aus Birnbaumholz gefertigt, was das Prestige der Immobilie zusätzlich unterstrich. Die Innenräume der einzelnen Wohnungen waren in verschiedenen historischen Stilen eingerichtet – von der Neorenaissance über das Empire bis zum Neorokoko-Boudoir. Einige Zimmer verfügten über Kamine aus weißem Marmor mit aus Paris importierten Kristallspiegeln, die bis heute erhalten geblieben sind. Die vergoldeten Balustraden der Balkone und Terrassen sorgten für zusätzlichen Glanz.
Der Eigentümer des Gebäudes und sein Schicksal
Henryk Wilhelm Edward Kolberg (1861-1935) war ein Bergbauingenieur und Unternehmer, der als einziger aus der Familie Kolberg ein beträchtliches Vermögen anhäufte. Er war Miteigentümer eines Bergwerks im Donezbecken und gründete nach seiner Übersiedlung nach Warschau die Fabrik für optische und Präzisionsgeräte „H. Kolberg i Ska“, die später in das Unternehmen Państwowe Zakłady Optyczne S.A. (Staatliche Optische Werke S.A.) umgewandelt wurde. Infolge der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren musste Kolberg das Mietshaus verkaufen, das in den Besitz der Familie Kraushar überging. Die Besitzer wurden 1940 ins Ghetto umgesiedelt, und das Gebäude wurde von den Nazis besetzt, die es in das so genannte Deutsche Viertel einbauten. Auf dem Nachbargrundstück wurde 1903 ein markantes Gebäude von Maurycy Spokorny errichtet. Das Gebäude wurde während des Krieges niedergebrannt und 1947 abgerissen. Seine Geschichte wird HIER beschrieben.
Das Kolberg-Mietshaus und sein Schicksal im 20. und 21. Jahrhundert
Das Gebäude hat den Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen überstanden. Die Innenräume wurden teilweise zerstört, aber viele dekorative Elemente und Einrichtungsgegenstände sind erhalten geblieben. Ursprünglich hatte das Haus zwei Nebengebäude. Eines davon wurde vor 1945 abgerissen, das andere Ende der 1970er Jahre. Nach Kriegsende beherbergte das Gebäude u. a. ein diplomatisches Protokoll, während nach 1989 vorübergehend Finanzinstitute hier tätig waren. Heute befindet sich das Gebäude im Besitz des Justizministeriums. Trotzdem ist die Fassade des Gebäudes nicht in bestem Zustand, und seine Pracht ist längst vergangen. Am deutlichsten ist dies an den Holzpfeilern zu erkennen, die die Terrassen stützen und die einzustürzen drohen. Dennoch bleibt das Kolberg-Haus ein wichtiges Element der Warschauer Architekturlandschaft und ein Zeugnis des einstigen Glanzes der Ujazdowskie-Allee.
Quelle: warszawa.wyborcza.pl, polacyzwyboru.pl
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Das Mietshaus im Jahr 1914 und 2025. Quelle: Urban Construction News und whiteMAD/Mateusz Markowski
Mietshäuser in der Ujazdowskie Avenue im Jahr 1938 und 2025. Quelle: Wochenzeitung „Stolica“, Nr. 38, (1657) 23.09.1979 und whiteMAD/Mateusz Markowski