Der Pažanga-Palast – eine modernistische Perle des Kaunas der Zwischenkriegszeit

In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich Kaunas zu einem wichtigen Zentrum der Moderne in Mittel- und Osteuropa. In dieser Zeit wurden in der Stadt viele moderne öffentliche Gebäude, Banken, Bürogebäude und Stadthäuser errichtet, die die Ambitionen des jungen litauischen Staates widerspiegeln. Eines der eindrucksvollsten Beispiele dieser Architektur ist der 1934 errichtete Pažanga“-Palast an der Liberty Avenue.

Der Name des Gebäudes „Pažanga“, was auf Litauisch „Fortschritt“ bedeutet, spiegelt perfekt den Geist der Zeit wider, in der es gebaut wurde. Das Gebäude wurde zusätzlich „Palast“ genannt, um seine Größe und die Erhabenheit seiner sehr modernen Architektur zu unterstreichen. Das Gebäude ist mit dem Palast „Pienocentras“ verbunden und steht gegenüber dem ehemaligen Einkaufszentrum „Merkurijus“. Obwohl sich die beiden Gebäude in ihrer Form unterscheiden, sind sie repräsentative Beispiele für funktionale, modernistische Gebäude in Kaunas aus den 1930er Jahren.

Kaunas-Palast „Pažanga“

Das Unternehmen „Pažanga“ wurde 1928 von der regierenden Nationalistischen Union gegründet und diente als ideologische Basis der Partei. Das neue Gebäude sollte die Macht und den Ehrgeiz der politischen Elite jener Zeit unterstreichen. Anstelle des früheren einstöckigen Hauses mit einem Antiquariat wurde ein modernes, mehrstöckiges Gebäude nach einem Entwurf des Architekten Felixas Vizbaras errichtet. Die Bauarbeiten wurden von D. und G. Ilgovskis durchgeführt. Das Gebäude beherbergte Büro-, Verlags-, Club- und Wohnfunktionen. Hinter der markanten Fassade befanden sich die Redaktion der Tageszeitung Lietuvos aidas, die Parteizentrale und ein nationalistischer Klub. Im Erdgeschoss befanden sich Geschäfte und Buchhandlungen, darunter die der Unternehmen „Parama“ und „Dirva“, sowie die Staatsbibliothek. Im Untergeschoss befanden sich ein Lesesaal und ein durch Oberlichter beleuchteter Konferenzraum. Im obersten Stockwerk befanden sich das Clubrestaurant und die Dachterrasse, von der aus man einen Blick auf die Skyline von Kaunas hatte.

Pałac „Pažanga”

Architektur und Stil des „Pažanga“-Palastes

Der Palast „Pažanga“ hat einen U-förmigen Grundriss und besteht aus drei Teilen unterschiedlicher Höhe. Auf der Seite der Liberty Avenue steht das fünfstöckige Hauptgebäude mit zwei Risaliten und Loggien. Diese verleihen dem Gebäude einen äußerst modernen und einzigartigen Ausdruck. Die Fassade zeichnet sich durch eine durchbrochene, abgestufte Attika aus Keramikziegeln und geometrische Balkonbrüstungen mit Eisenornamenten aus. Der Architekt Feliksas Vizbaras hat in seinem Entwurf modernistische Formen mit Elementen des litauischen Nationalstils kombiniert. Die Fassade und die Details im Inneren zeigen volkstümliche Motive, stilisierte Ornamente, Zickzacklinien und von Holzschnitzereien inspirierte Verzierungen. Die Kombination aus moderner Form und nationalen Bezügen war jedoch umstritten. Im Jahr 1938 kritisierte der Künstler Mstislavas Dobužinskis in der Zeitschrift Naujoji Romuva diese Behandlung und bezeichnete sie als „architektonisches Verbrechen“ und als „kindische Krankheit“ der litauischen Architektur.

Das Schicksal des Palastes des „Fortschritts

In den Wohnungen des Palastes lebten einflussreiche Vertreter der litauischen Politikszene. Ministerpräsident Juozas Tūbelis wohnte hier eine Zeit lang, und Vladas Mironas, einer der Gründer der „Pažanga“ und Unterzeichner der litauischen Unabhängigkeitsakte, zog 1935 hier ein. Im Jahr 2017 wurde an der Fassade des Gebäudes eine Gedenktafel zu seinen Ehren enthüllt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Palast von den deutschen Besatzungsinstitutionen besetzt und diente während der Sowjetzeit Verwaltungs- und Forschungszwecken. In dieser Zeit wurden die Innenräume teilweise umgebaut, und auf der Hofseite wurden Wohnungen und ein zusätzliches Stockwerk angebaut. Trotz dieser Veränderungen hat das Gebäude die ursprüngliche Form seiner repräsentativen Fassade und den größten Teil seiner Dekoration beibehalten.

Pałac „Pažanga”

Palast Pažanga nach 1989

Im Jahr 1989 wurde das Gebäude der Vytautas-Magnus-Universität übergeben. Zunächst beherbergte es die Fakultät für Theologie und Philosophie, später die Fakultät für Katholische Theologie und schließlich die Fakultät für Bildende Künste. Das Erdgeschoss wurde gewerblich genutzt – hier befanden sich ein Café, eine Bank und ein Lebensmittelladen. Im Jahr 2012 wurde die Kunstgalerie der VMU eröffnet. Ab 2014 verlor das Gebäude allmählich seine Nutzfunktion. Heizungsprobleme und unzureichende Wartung führten zum teilweisen Verfall des Gebäudes. Nach erfolglosen Versuchen, Mittel für die Renovierung aufzubringen, verkaufte die Universität das Gebäude 2019 bei einer Auktion. Seitdem befindet es sich in Privatbesitz, was aber nichts daran geändert hat, dass das Gebäude nach wie vor weitgehend leer steht. Lediglich im Erdgeschoss befindet sich ein Gastronomiebetrieb.

Erbe und Bedeutung

Der Pažanga-Palast, dessen Name symbolisch auf die Idee des Fortschritts verweist, ist eines der wertvollsten Beispiele für die modernistische Architektur von Kaunas. Trotz der vielen Jahre hat das Gebäude einen außergewöhnlichen historischen und künstlerischen Wert und zeugt vom Ehrgeiz und der Ästhetik des Kaunas der Zwischenkriegszeit – einer Stadt, die bis heute ein Symbol des litauischen Modernismus ist. Trotz seines eher schlechten Zustands steht das Gebäude unter Denkmalschutz und bleibt als Objekt von nationaler Bedeutung, das im litauischen Register der Kulturgüter aufgeführt ist, unter staatlichem Schutz. Seit 2015 ist es auch mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet, das an Stätten von besonderer Bedeutung für die Geschichte und Kultur Europas verliehen wird. Dies lässt auf eine Restaurierung hoffen, die die schönsten und wertvollsten Merkmale des Denkmals zum Vorschein bringt. Leider gab es bei den Renovierungsarbeiten am benachbarten Pienocentras-Palast, der ebenfalls zum modernistischen Erbe von Kaunas gehört, eklatante Unregelmäßigkeiten. Auf die Fassade wurde der falsche Putz aufgetragen, wodurch ein Schaden von schätzungsweise 200 000 Euro entstand.

Quelle: kvr.kpd.lt, m.kauno.diena.lt

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