Im Jahr 2002 schlug der niederländische Architekt Rem Koolhaas vor, das Aussehen der bestehenden Flagge der Europäischen Union radikal zu verändern. Sein Entwurf, der auf Einladung des damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Romano Prodi, im Studio OMA realisiert wurde, wich von der bisherigen Symbolik und den Farben ab. Koolhaas entwarf ein Muster, das aus vertikalen Streifen in den Farben der Flaggen aller Mitgliedstaaten besteht. Er ließ sich dabei vom Strichcode inspirieren, einem grafischen Symbol der Modernität und des globalen Austauschs.
Mosaik aus Nationalfarben unter Beschuss von Kritikern
Zum Zeitpunkt seiner Entstehung umfasste der Entwurf von Koolhaas 45 Farben, die den damaligen 15 Mitgliedstaaten der Gemeinschaft entsprachen. Im Jahr 2006, nach der Erweiterung der Union, wurden weitere Farben hinzugefügt, so dass eine neue Version der Flagge entstand, die 25 Länder umfasste. Die Idee war klar: Die Vielfalt der nationalen Identitäten sollte als kohärentes, dynamisches Ganzes dargestellt werden. In den Augen des Architekten sollte Europa ein Mosaik und kein Monolith sein. Sein Vorschlag sollte Gemeinschaft nicht durch Uniformität, sondern durch die Koexistenz von Vielfalt ausdrücken. Obwohl das Projekt von 2002 nie offiziell umgesetzt wurde, löste es eine lebhafte Debatte aus. Kritiker warfen ihm vor, die Idee der europäischen Einheit auf einen bloßen Katalog von Ländern und deren Flaggen zu reduzieren. Einige sahen in dem „Strichcode“ eine grafische Metapher für die Union als Wirtschaftsgemeinschaft ohne eine tiefere, geistige Dimension. Andere wiederum sahen in ihm eine moderne, nicht-hierarchische Sprache, die den Realitäten des 21.

Die Flagge der Europäischen Union – Symbolik und Bedeutung
Der Kontrast zwischen Koolhaas‘ Entwurf und der aktuellen Flagge ist signifikant. Das derzeitige Symbol Europas, das 12 kreisförmig angeordnete goldene Sterne auf blauem Grund zeigt, wurde 1955 angenommen. Sein Autor war Arsène Heitz, ein Postbeamter, der Dutzende von Versionen des Entwurfs entwarf. Paul M.G. Lévy, der damalige Informationschef des Europarats, war für die Verfeinerung der Proportionen und Farben verantwortlich. Die Symbolik der Flagge basiert auf der Zahl 12, die als Ausdruck von Vollkommenheit und Ganzheit gilt und u. a. in der Anzahl der Monate im Jahr, der Stunden auf der Uhr oder den Tierkreiszeichen vorkommt. Die Sterne spiegeln nicht die Anzahl der Mitgliedstaaten wider, wie dies bei der Anzahl der Staaten auf der Flagge der USA der Fall ist. Der Kreis, in dem sie angeordnet sind, symbolisiert Einheit und Solidarität. Die eigentliche Inspiration für das Design war, wie der Autor vor seinem Tod zugab, die Apokalypse des Heiligen Johannes und die Figur der Frau mit dem Kranz aus 12 Sternen. Die religiösen Konnotationen des Entwurfs sind jedoch bis heute umstritten.
Die Flagge der Europäischen Union als Zeichen der Identität
Die Flagge wurde zunächst vom Europarat angenommen und 1983 als offizielles Symbol der Europäischen Gemeinschaften anerkannt. Im Jahr 1986 wehte sie zum ersten Mal vor dem Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Obwohl der Vertrag von Lissabon den Symbolen der Union keinen Rechtsstatus verlieh, ist die Flagge zu einem festen Bestandteil der visuellen Identität der Union geworden und wird weltweit mit ihr assoziiert. Der abgelehnte, aber durchaus interessante Entwurf von Rem Koolhaas nahm keinen Bezug auf die christliche Tradition oder Symbolik. Es war auch nicht der Versuch, die europäischen Werte in einer einzigen Form zu verkörpern. Vielmehr glich er einem sich ständig verändernden Code, zu dem jedes Land seine eigene Farbe beisteuert. Obwohl es sich nicht durchsetzen konnte, bleibt es eine interessante Fußnote in der Geschichte der europäischen Symbole und ein Versuch, die moderne Identität des alten Kontinents zu definieren.
Quelle: european-union.eu, coe.int
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