Die Karolkowa-Straße im Warschauer Stadtteil Wola ist seit Jahren Zeuge der Industriegeschichte der Hauptstadt. Einer ihrer charakteristischsten Punkte waren die monumentalen Gebäude der Warszawskie Zakłady Farmaceutyczne „Polfa“ S.A., die im Jahr 2024 Geschichte wurde. Das berühmte Unternehmen hat durch die Fusion mit der Zakłady Farmaceutyczne „Polpharma“ formell aufgehört zu existieren, und seine Mauern in der Karolkowa-Straße 22/24 sind bereits fast vollständig von der Landkarte Warschaus verschwunden und haben einer modernen Wohnsiedlung Platz gemacht. Diese Veränderung markiert das Ende einer Ära für die polnische Apotheke.
Von ihren Wurzeln im 19. Jahrhundert bis zur Verstaatlichung
Die Geschichte dieses Ortes reicht tief ins 19. Jahrhundert zurück, als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf dem Grundstück an der Kreuzung von Karolkowa und Przyokopowa die Gummibandfabrik „Paweł Szpigiel i S-ka“ gegründet wurde. In den folgenden Jahren wechselten die Besitzer, und um 1900 ging die Fabrik in die Hände von Adolf Fabian über, der den Komplex vor 1914 um ein Gebäude mit einem Eingangstor an der Kreuzung der Straßen Karolkowa und Przyokopowa erweiterte. Der wirkliche Durchbruch kam jedoch vor 1929, als die Fabrik von der Gesellschaft für chemische und pharmazeutische Industrie d. Magister Klawe S.A. übernommen wurde. Es war die Familie Klawe, die dem Ort den Geist der Pharmazie einhauchte. Henryk Klawe, der Senior der Familie und Gründer der bekannten Apotheke, legte den Grundstein für den künftigen Pharmariesen. In den 1930er Jahren wuchs das Unternehmen schnell, baute seine Einrichtungen aus und erweiterte seine Produktpalette. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde in Karolkowa die beeindruckende Zahl von über 400 verschiedenen Arzneimitteln hergestellt. Das Unternehmen stellte nicht nur Arzneimittel her, sondern war auch im Verlagswesen tätig, gab medizinische Fachzeitschriften heraus und engagierte sich für wohltätige Zwecke, indem es u. a. evangelische Heime unterstützte.
Die turbulenten Zeiten des Zweiten Weltkriegs gingen auch an der Fabrik nicht spurlos vorüber. Während der Besatzungszeit wurde sie an ein deutsches Unternehmen übergeben, und nach 1945 wurde das zerstörte Werk von den kommunistischen Behörden verstaatlicht. Stanisław Klawe, der Sohn von Henryk, hat das Familienunternehmen nie zurückerhalten. Es wurde in das Werk Nr. 1 des Verbandes der pharmazeutischen Industrie umgewandelt und dann in Warschauer Pharmazeutisches Werk „Polfa“ umbenannt.

Polfa Warszawa: Produkte, Exporte und Privatisierung
Das Werk in Karolkowa setzte seine Tätigkeit unter dem Namen „Polfa“ fort und wurde zu einem der wichtigsten Arzneimittelhersteller in Polen. Im Laufe der Jahre und angesichts des wachsenden Bedarfs wurden die Anlagen modernisiert und erweitert. Die Produkte von Polfa genossen einen hohen Bekanntheitsgrad, der es dem staatlichen Unternehmen ermöglichte, die politische Wende nach 1989 zu überstehen. Im Jahr 2012 fand eine weitere wichtige Etappe in der Geschichte des Unternehmens statt – die Privatisierung. Polpharma S.A., der größte polnische Arzneimittelhersteller, der auch im Ausland tätig ist, wurde Mehrheitseigentümer der Polfa-Anteile. Zum Zeitpunkt der Privatisierung umfasste das Portfolio von Polfa Warszawa mehr als 140 verschiedene Arten von Präparaten, darunter rezeptfreie Arzneimittel, verschreibungspflichtige Präparate und Produkte für Krankenhäuser. Diese Produkte wurden im ganzen Land vertrieben und in Dutzende von Ländern auf der ganzen Welt exportiert.
Das Ende einer Ära und neue Perspektiven
Im März 2024 fand die formelle Fusion von Warszawskie Zakłady Farmaceutyczne Polfa S.A. und Zakłady Farmaceutyczne „Polpharma“ S.A. statt. Zum Zeitpunkt der Verschmelzung übernahm Polpharma alle Rechte und Pflichten des Warschauer Unternehmens. Dieses Ereignis markierte das symbolische Ende der Tätigkeit von Polfa Warszawa als eigenständiges Unternehmen. Kurz darauf wurde mit dem Abriss der historischen Gebäude in der Karolkowa-Straße begonnen. An dem Ort, an dem jahrzehntelang lebensrettende Medikamente hergestellt wurden, wird eine moderne Wohnsiedlung des Unternehmens Noho One entstehen. Über die Investition haben wir HIER berichtet. Die Geschichte von Polfa Warszawa endet jedoch nicht mit dem Verschwinden der Gebäude an der Karolkowa. Bereits 2013, kurz nach der Übernahme durch Polpharma, tauchten Informationen über Pläne zum Bau einer modernen Fabrik in Duchnice, 15 km westlich des Warschauer Zentrums, auf. Wie von Polpharma angekündigt, wird es sich dabei um eine der größten und modernsten pharmazeutischen Anlagen in Europa handeln, die unter anderem auf die Herstellung von biologischen Arzneimitteln spezialisiert ist.

Polfa: Erbe und Gedächtnis
Mit dem Verschwinden der Polfa-Gebäude in der Karolkowa-Straße geht zweifellos ein Kapitel in der Geschichte der Warschauer Wola und der polnischen Pharmaindustrie zu Ende. Die Erinnerung an diesen Ort und an die Menschen, die im Laufe der Jahre Arzneimittel für Millionen von Patienten hergestellt haben, wird jedoch lebendig bleiben. Von der Gummibandfabrik über das dynamisch wachsende Unternehmen der Familie Klawe bis hin zur verstaatlichten Polfa und ihrer Privatisierung zeugt die Geschichte dieses Ortes von den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in Polen.
Quelle: polfawarszawa.pl, polska-org.pl
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