Der Kristallpalast (englisch: The Crystal Palace) in London kann kaum als Palast bezeichnet werden. Dieses Bauwerk aus Glas und Gusseisen aus dem 19. Jahrhundert glich eher einem riesigen Gewächshaus. Er wurde für die Weltausstellung von 1851 als Hauptausstellungshalle und Symbol des industriellen Fortschritts in England gebaut. Der Architekt Joseph Paxton schuf ein modernes und funktionales Bauwerk, das bis 1936 Bestand hatte, als sein Werk einem Feuer zum Opfer fiel.
Obwohl Ausstellungen dieser Art bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts stattfanden, war die Weltausstellung von 1851 die erste wirklich „große“ Ausstellung. Es wurde ein eigenes Gebäude gebaut, um die Leistungen aller Nationen zu präsentieren. Der Crystal Palace war die Idee des Gärtners und Parlamentsabgeordneten Joseph Paxton.
Die uralte Rivalität
Die Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit heftiger Rivalität zwischen England und Frankreich. Aus diesem Grund standen die technischen Errungenschaften dieser beiden Länder im Mittelpunkt der Ausstellung. Es ist bemerkenswert, dass die Franzosen sieben Jahre zuvor die Welt mit der ersten Rechenmaschine (Arithmometer) und den ersten verfügbaren Fotografien (Daguerreotypien) begeistert hatten. Prinz Albert, Henry Cole und die gesamte Königliche Gesellschaft zur Förderung der Künste hatten wohl etwas vorbereitet, das sie beeindrucken sollte.
Die Ausstellungshalle allein war schon eine Sensation. Die Franzosen organisierten 1844 fast 4.000 Stände, während Paxtons Crystal Palace bis zu 14.000 Aussteller beherbergte. Die französische Ausstellung wurde von König Louis Philippe I. geleitet. Die britische Ausstellung wurde von der damals mächtigsten Herrscherin der Welt, Königin Victoria, eröffnet. Solche Vergleiche lassen sich beliebig oft anstellen.
Doch was war im Crystal Palace zu sehen? In erster Linie der damals größte Diamant der Welt, der Koh-i-Noor, und der seltene rosa Diamant Daria-i-Noor. Neben den atemberaubenden Edelsteinen waren auch der Prototyp eines Faxgeräts, eine Zählmaschine, ein Navy Colt-Revolver und verbesserte Daguerreotypien zu sehen. Natürlich fehlte es auch nicht an kostbaren Gold-, Holz- und Silberwaren. Die Innovation der Veranstaltung lag in der Präsentation moderner Techniken zur Herstellung bestimmter Gegenstände.
Faltbarer Palast
Die Konstruktion des Palastes bestand aus vorgefertigten Modulen. Diese Lösung trug dazu bei, einige Ressourcen für die Innenausstattung einzusparen. Das große „Gewächshaus“ musste nicht mit teurem Leder oder Holz verkleidet werden. Das Glas aus der Chance Brothers-Fabrik in Smethwick wurde in einheitlichen Größen hergestellt, so dass Paxton auf Massenteile zurückgreifen konnte.
Das 564 × 39 m große Gebäude wurde in nur neun Monaten errichtet. An seinem höchsten Punkt war der Palast sogar 51 m hoch. Der Architekt hat viele interessante Lösungen eingebaut. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Modulen entwickelte Paxton ein Belüftungssystem, das auf mechanischen Luken basiert. Eine zweite Möglichkeit zur Kühlung der „Gewächshäuser“ bestand in der Verwendung von Segeltuchplanen, die an einigen Fenstern aufgehängt wurden. Es wurden Maschinen entwickelt, um den Boden zu kehren, wobei der Staub zwischen die entsprechend angeordneten Platten fiel. Der Architekt dachte an alles, vom gepflasterten Dach bis hin zu den patentierten Dachrinnen. Paxtons Erfindung leitete das Wasser durch spezielle Rohre ab, die im Rahmen des Gebäudes versteckt waren. Außerdem wurden, wie es sich für ein Gewächshaus gehört, Bäume in das Innere des Gebäudes gepflanzt, zusammen mit einer schönen Bepflanzung und einem Springbrunnen.
Hunde, Katzen und Dinosaurier
Nach der Weltausstellung wurde der Palast abgebaut und auf dem Sydenham Hill wieder aufgebaut. Die provisorische Struktur des Gebäudes musste verstärkt und umgestaltet werden. Das Gebäude wurde vergrößert, und über die gesamte Länge der Halle wurden Dächer aus Pflastersteinen angebracht. Der neue Crystal Palace wurde größer, höher und grüner. Der so umgestaltete Palast sollte zu einer neuen ständigen Ausstellungshalle werden.
Auf dem Sydenham Hill wurden Kunst, Dinosauriermodelle und Zirkuskunststücke gezeigt. Der Crystal Palace war ein angesagter Ausstellungsort. Berühmte Persönlichkeiten der damaligen Zeit wie Giuseppe Garibaldi, Fjodor Dostojewski und Charles Darwin besuchten ihn häufig. In den 1870er und 1880er Jahren wurden Ausstellungen von Hunden, Tauben, exotischen Tieren und die erste Katzenausstellung der Welt veranstaltet. Im Inneren wurde sogar eine Orgel installiert, und der Crystal Palace wurde zum Teil zu einem Konzertsaal.
Der Menschenzoo
Viele der Veranstaltungen, die im Palast stattfanden, hatten mit den kolonialen Fortschritten Großbritanniens zu tun. Es wurden ferne afrikanische Kulturen, ihre Trachten, Waffen … sowie die Menschen des Schwarzen Kontinents selbst vorgestellt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eine analoge Ausstellung über Indien und Asien organisiert. Diese gipfelte 1911 im Festival der Reiche. Die Errungenschaften der verschiedenen Herrschaftsgebiete des britischen Empire (Kanada, Südafrika, Australien usw.) wurden vorgestellt. Sogar maßstabsgetreue Gebäude ihrer Parlamente wurden nachgebaut. Das Ganze war eine Besiegelung der Krönung von König Georg V.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Palast in das Imperial War Museum umgewandelt. Natürlich waren in einem anderen Teil des riesigen Gebäudes weiterhin Ausstellungen zu sehen. In den 1920er Jahren war das Gebäude bereits dringend renovierungsbedürftig. Der schlechte Zustand des Gebäudes hielt die Menschen davon ab, den Ort zu besuchen. Dank der Bemühungen des Direktors des Palastes, Sir Henry Buckland, konnten Mittel aufgebracht und die notwendigen Reparaturen durchgeführt werden. Das renovierte Gebäude begann wieder Besucher anzuziehen.
Crystal Palace F.C
Der Park ist an dieser Stelle erwähnenswert. Der Crystal Palace Park war ein teurer Garten mit Springbrunnen, Teichen und den ersten 33 Dinosaurier-Skulpturen der Welt. Interessanterweise war die Entdeckung und Erforschung der großen Reptilien für die damalige Welt eine neue Angelegenheit. Der Schädel eines Vorfahren der Riesenfaultiere wurde dem Park von Charles Darwin selbst gestiftet. Im Laufe der Zeit wurde das Parkgelände zu einer Sportanlage. Cricket und Fußball wurden auf den Feldern des Crystal Park gespielt. Der Verein Crystal Palace F.C. trainierte und trug bis 1915 seine Spiele im Park aus. Der gesamte Komplex war über zwei Bahnhöfe leicht zu erreichen. Einer davon ist heute noch in Betrieb.
Die Geschichte der berühmtesten Ausstellungshalle der „Schönen Ära“ fand 1936 ein jähes Ende: Ein kleiner Brand in der Umkleidekabine der Frauen entwickelte sich zu einem Feuer. Das abendliche Feuer brannte trotz des Einsatzes von mehr als 400 Feuerwehrleuten den gesamten Palast nieder. Das Gebäude war nicht ausreichend versichert, so dass die Pläne für einen Wiederaufbau aufgegeben wurden.
Das Ende einer Ära
Winston Churchil nannte den Brand des Crystal Palace „das Ende einer Ära“. Karl Marx hätte beim Anblick des verhassten Gebäudes in Flammen wahrscheinlich posthum gelächelt. Während der Weltausstellung zog der Philosoph seine Schlussfolgerungen über die „Konzentration der Macht“ und den „kapitalistischen Fetischismus“. Der letzte Direktor, Sir Henry Buckland, wiederum verstand die Schwere der Katastrophe wie kein anderer. Zu allem Überfluss brannten im Südturm des Gebäudes auch noch Prototypen eines von John Logie Baird entworfenen mechanischen Fernsehers ab.
Zahlreiche Versuche, das Gebäude wiederaufzubauen, blieben erfolglos. Die Briten versuchten es, und dann sogar die Chinesen. Heute ist der Crystal Palace ein Symbol der verlorenen Macht für England. Er wurde erbaut, als London die Hauptstadt der Welt war, und wird von älteren Generationen von Engländern mit dieser Tatsache in Verbindung gebracht. Schließlich wurde in den „kristallenen“ Innenräumen alles ausgestellt, was die Welt jenseits von Europa zu bieten hatte.
Quelle: Domus
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