Auf dem Winiary-Hügel in Poznan stand einst das größte Artilleriefort in Europa. Das Fort Winiary, gemeinhin als Zitadelle bekannt, war das Herzstück der ehemaligen Posener Festung. Im 19. Jahrhundert war sie eine der stärksten Festungsanlagen auf dem Alten Kontinent. Heute zeugen nur noch Ruinenfragmente vom militärischen Charakter des Gebäudes, doch vor 80 Jahren wurden hier blutige und heftige Schlachten geschlagen, woran die Kriegsfriedhöfe an den südwestlichen Hängen des Hügels erinnern.
Eine Festung neuen Typs
Die Festungsanlagen von Posen haben eine lange Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Ein großer Durchbruch gelang jedoch im 19. Jahrhundert, als die Stadt nach dem Wiener Kongress unter preußische Herrschaft kam. Damals wurde der Bau einer modernen Festung beschlossen, um die östlichen Grenzgebiete des Staates zu sichern. Kernstück des neuen Konzepts war das von dem Ingenieur Leopold von Brese entworfene und unter der Leitung von Moritz von Prittwitz in den Jahren 1828-1842 errichtete Fort Winiary, ein polygonaler Bau, eine Innovation in der preußischen Festungskunst. In Posen wurde erstmals das so genannte neupreußische System umgesetzt, das später zum Vorbild für andere Festungen in Europa wurde.
Eine Macht von Weltgeltung
Vier Jahrzehnte lang wurde Poznań in eine echte Festung verwandelt. Neben der Zitadelle wurden Befestigungsanlagen um Ostrów Tumski errichtet, und in den folgenden Jahren entstanden neun weitere große Festungen und zahlreiche Zwischenbauten, Unterstände, Munitionsdepots oder Stellungen für die Fernkampfartillerie. Das System erstreckte sich über ein Gebiet mit einem Durchmesser von etwa zehn Kilometern und wurde bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs kontinuierlich modernisiert. Die Fähigkeit, Hochwasser zu erzeugen, spielte in diesem System eine besondere Rolle. Durch das Aufstauen der Warthe, der Cybina und des Wierzbak konnten die Verteidiger das umliegende Gebiet in ein schwer zu eroberndes Gebiet verwandeln. Die Vielzahl der Bauwerke und ihr innovatives System verhalfen der Posener Festung zu einem europaweiten Ruf und machten sie zu einer der größten Anlagen ihrer Art auf dem Kontinent.

Fort Winiary in polnischer Hand
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs befand sich Poznań innerhalb der Grenzen des wiedergeborenen Polens, was bedeutete, dass sich die Lage der preußischen Zitadelle grundlegend änderte. Im Jahr 1918 blieb sie in deutscher Hand, doch dank der Initiative von Feldwebel Stanisław Jóźwiak, einem Mitglied der polnischen Militärorganisation, gelang es, die Kontrolle über die Funkstation zu erlangen, und im Dezember desselben Jahres zwangen die großpolnischen Aufständischen die deutsche Garnison zur Kapitulation. Bald darauf wurden in der Festung polnische Fernmeldeeinheiten, darunter Telegrafen- und Radiobataillone, aufgestellt. In der Zwischenkriegszeit diente die Zitadelle hauptsächlich militärischen und teilweise zivilen Zwecken. Unter anderem wurde hier ein landesweiter Radiosender eingerichtet und sogar Studenten der Universität Poznan in Kryptographie ausgebildet.
Die letzte Schlacht auf der Festung Posen
Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Festung Winiary zu einem Symbol des deutschen Widerstands. Im Februar 1945 war das Bauwerk die letzte Bastion der so genannten Festung Posen, die von einer Garnison von mehreren Tausend Mann verteidigt wurde. Die Kämpfe um die Festung waren äußerst erbittert und endeten am 23. Februar mit der Einnahme der Zitadelle durch die Rote Armee, dem Jahrestag der Gründung. Während der Belagerung wurde u. a. die Kasernenredoute zerstört, und andere Bauwerke erlitten kleinere und größere Schäden. Während der Besatzung wurde die Festung von den Deutschen als Internierungsort für Kriegsgefangene genutzt – unter anderem wurde hier General Roman Abraham festgehalten. Der Wassergraben wurde auch als Schießplatz für Rüstungsbetriebe genutzt. am 21. Juli 1946 wurde hier die letzte öffentliche Hinrichtung in Polen vollzogen. Der Gauleiter Artur Greiser, der für Verbrechen im Wartheland verantwortlich war, wurde am Hang der Zitadelle erhängt.
Fort Winiary um 1910 und der Park der Zitadelle heute. Foto: re.photos/Tomasz Hejna
Aus Fort Winiary wurde ein Park
Nach dem Krieg begann man mit dem Abriss des inzwischen beschädigten und unbrauchbaren Forts. Die dabei gewonnenen Ziegelsteine wurden für den Wiederaufbau der zerstörten Städte Warschau und Posen verwendet. Infolge der Festung Posen wurden rund 55 Prozent der Stadt zerstört, stellenweise sogar 90 Prozent – vor allem in der historisch wertvollen Altstadt. am 23. Februar 1946, dem ersten Jahrestag des Endes der Kämpfe um Posen, wurde das Heldendenkmal auf der Zitadelle enthüllt. Das 23 Meter hohe Denkmal war ursprünglich mit einem roten Stern versehen, der erst 1989 entfernt wurde. In den 1960er Jahren wurde an der Stelle der fast vollständig zerstörten Zitadelle mit dem Bau des neuen Zitadellenparks begonnen. Er sollte ein Erholungsgebiet und eine Gedenkstätte zugleich sein. Im Jahr 2008 wurde das gesamte Areal zum historischen Denkmal erklärt. Heute umfasst der Park rund 100 Hektar und ist die größte Grünfläche der Stadt. Auf dem Gelände befinden sich Denkmäler, Skulpturen (darunter die berühmte „Unerkannte“ von Magdalena Abakanowicz) und zwei Museen: das Rüstungsmuseum und das Museum der Posener Armee. Von der alten Militärarchitektur sind u. a. der Ravelin I, die Bastion II und das Nordtor erhalten geblieben.
Kriegsdenkmal
Auf der Zitadelle befinden sich heute sieben Friedhöfe, darunter der Polnische Heldenfriedhof, der Garnisonsfriedhof, der Britische Commonwealth-Friedhof und der Sowjetische Heldenfriedhof. Hier ruhen Aufständische, Soldaten, Opfer der Besatzung und Kriegsgefangene – sowohl polnische als auch alliierte -. Heute ist der Zitadellenpark ein Ort, an dem sich Geschichte und Alltag begegnen. Wenn man durch die Alleen schlendert, kann man kaum übersehen, wie viele Schichten der Geschichte sich auf diesem Hügel verbergen. In der Vergangenheit war er ein stolzer Beweis für militärische Stärke, später war er Schauplatz blutiger Schlachten, und schließlich wurde er zu einem Friedhof und einem Denkmal der Geschichte, das Erinnerung, zeitgenössische Kunst und einen beliebten Ort für Spaziergänge für viele Posener Bürger vereint.
Quelle: Stary Poznań damals und heute, twierdza-poznan.pl, poznan.pl
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Teilweise abgerissene östliche Überführung der Festung Winiary – 1953 und heute. Foto: NAC und Alt-Poznań damals und heute
Das Feldtor der Festung Winiary, 1953 und heute. Foto: NAC und das alte Poznań damals und heute
Das 1945 zerstörte Halskaponier und das Südtor der Festung Winiary. Foto: NAC und Altes Poznań damals und heute
Ein Amphitheater auf der Zitadelle, das 1968 in Gemeinschaftsarbeit an der Stelle von Ravelin IV der Festung errichtet wurde und heute verlassen ist. Foto: NAC und Altes Poznań damals und heute