Das Haus Schminke in Löbau, auch „Nudeldämpfer“ genannt, gehört zu den vier weltweit bedeutendsten Wohnbauten der klassischen Moderne. Die anderen drei sind: Das 1931 von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Tugendhat-Haus in Brünn, die Villa Savoye in Poissy bei Paris von Le Corbusier aus dem Jahr 1929 und das 1939 von Frank Lloyd Wright entworfene Fallingwater-Haus (Kaufman Residence) in Pennsylvania. Dieses von Hans Scharoun entworfene architektonische Wunderwerk verdient besondere Aufmerksamkeit, da es durch seine einzigartige Konstruktion, sein Licht, seinen Raum und seine Atmosphäre Architekturliebhaber anzieht. Die Besichtigung des Hauses ist sowohl mit Audioguides als auch mit Führungen möglich, und Besucher können sogar in diesem bemerkenswerten Gebäude übernachten oder dort eine Veranstaltung abhalten.
Das Haus Schminke wurde zwischen 1930 und 1933 im Auftrag von Charlotte und Fritz Schminke – Inhaber einer florierenden Nudelfabrik – gebaut. Sie hatten klare Anforderungen an ihr zukünftiges Haus, das in der Nähe ihres Unternehmens stehen sollte. Fritz definierte seine Erwartungen knapp und praktisch: „Ein modernes Haus für zwei Eltern, vier Kinder und gelegentlich für ein bis zwei Gäste.“ Ein wichtiger Aspekt war die Verbindung von Arbeiten und Wohnen, von Technik und Natur, um die Voraussetzungen für ein sicheres und entspanntes Familienleben zu schaffen. Der Blick in den Garten sollte ungehindert sein und alle Wohnbereiche sollten sich auf der Südseite befinden. Die Bewirtschaftung des Hofes sollte einfach sein, denn nur eine Haushälterin sollte die Hausfrau bei der Hausarbeit und Kinderbetreuung unterstützen.
1930er Jahre Quelle: Innendekoration: mein Heim, mein Stolz; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort – 45.1934
Der Architekt berücksichtigte alle Vorschläge der Familie Schminke, und so entstand eines seiner ikonischsten Meisterwerke. Beim Betreten des Grundstücks führt eine breite Zufahrtsstraße zum Haupteingang, der von einem weit ausladenden Dach überdacht ist. Dieses Dach, das im nächtlichen Licht besonders futuristisch wirkt, hat auch die praktische Funktion, vor Regen zu schützen. Der Windfang führt direkt in die Haupthalle, die die drei Funktionsbereiche des Hauses miteinander verbindet: Wohnen, Schlafen und Hauswirtschaft. Das langgestreckte Erdgeschoss-Wohnzimmer auf der Ostseite hat einen Zugang zum Wintergarten. Durch die bodentiefen Fenster strömt die Südsonne in den Raum, und auf der Nordseite eröffnet sich dank der großen, von der Decke bis zum Boden reichenden Verglasung der Blick in den Garten. Durch die Transparenz der Gebäudekonstruktion verschwindet die Grenze zwischen Innen und Außen, und der Wohnbereich im Erdgeschoss geht optisch in den Garten über.
Foto Stiftung Haus Schminke, von Marcel Schroeder
Von der Fabrikseite her macht das Haus einen eher bescheidenen und luftdichten Eindruck; hier befinden sich der Eingang und die Wirtschaftsräume. Das Obergeschoss ist den Schlafzimmern und einem Gästebereich gewidmet. Im Vergleich zum Erdgeschoss ist es eher spartanisch eingerichtet. Die Schlafzimmer sollten als Rückzugsort vom hektischen Familienleben dienen. Die Kinderzimmer erinnern mit ihrem auf ein Minimum reduzierten Raum an Kojen auf einem Schiff. Ein erweiterter Lebensraum für die Familie war der Garten, der sich im Sommer in einen zusätzlichen Wohnbereich verwandelte. Neben dem Blumen- und Erholungsgarten ließ Charlotte Schminke auf dem Nachbargrundstück einen rund 11.000 Quadratmeter großen Gemüsegarten anlegen. Hier befindet sich auch heute noch der ursprüngliche Obstgarten der Familie. Architekt Scharoun gab allen Räumen des Hauses einen einheitlichen Stil. Er kombinierte Lampen und Einbaumöbel mit einem ausdrucksstarken Farbkonzept. Viel von der damaligen Farbgebung ist verloren gegangen, ebenso wie die originalen Tapetenfarben, so dass man sich heute kaum noch vorstellen kann, wie malerisch die Innenräume einst waren. Trotzdem strahlt das Haus Schminke immer noch Freude aus, was von dem Bauherrenpaar und dem Architekten bewusst so gewollt war.
Foto Stiftung Haus Schminke, von Marcel Schroeder
1945 wurde das Haus von der Roten Armee beschlagnahmt und 1946, gleichzeitig mit der Enteignung der Nudelfabrik, an die Familie zurückgegeben. In dieser Zeit richtete Charlotte Schminke in dem Haus ein Ferienheim für Kinder aus dem zerbombten Dresden ein. Nach dem Krieg wurde Fritz Schminke zum Kriegsverbrecher erklärt und verließ 1950 die DDR und siedelte nach Westdeutschland über, wo er sich 1953 von Charlotte Schminke scheiden ließ. Das Schminke-Haus wurde dann an die Stadt Löbau verpachtet, die dort einen Klub der Freien Deutschen Jugend und später das Pionierhaus“ einrichtete. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Haus für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und bot Platz für Besucher und Veranstaltungen.
Foto Stiftung Haus Schminke, von Marcel Schroeder
Hans Scharoun, 1893 in Bremen geboren, war einer der führenden Architekten der Moderne. Seine Werke, wie das Haus Schminke, die Siedlung Charlottenburg-Nord oder die Schulen in Lünen und Marl, gelten noch heute als Beispiele für freundliches und funktionales Bauen. Scharoun starb 1972 in Berlin und hinterließ ein Vermächtnis, das noch Generationen von Architekten inspiriert. Während seines Schaffens realisierte er zahlreiche Projekte, aber er selbst sagte: „Das von dem Industriellen Schminke in Löbau in Auftrag gegebene Haus war mir das liebste.“
Das Haus Schminke in Löbau ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein Zeugnis für die Geschichte und das Leben der Familie Schminke. Sein einzigartiges Design, seine Geschichte und die Möglichkeit, es zu besichtigen, machen es zu einem Muss für jeden Liebhaber des Modernismus.
Quelle: stiftung-hausschminke.eu – (instagram, facebook)
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