Das Mietshaus Helena Pal in der Marszałkowska-Straße 8 ist eines der charakteristischsten Beispiele für den Luxusfunktionalismus der Zwischenkriegszeit in Warschau. Das Gebäude wurde kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs errichtet und von zwei bekannten Architekten entworfen: Hipolit Rutkowski und Maksymilian Goldberg. Der Auftrag für den Bau kam von Helena Pal, der Witwe von Ferdynand Adolf Pal, dem Mitbegründer der Chemischen Verarbeitungsfabrik Dobrolin“. Bereits zum Zeitpunkt der Fertigstellung zeichnete sich das Stadthaus nicht nur architektonisch, sondern auch funktional durch moderne Lösungen und luxuriöse Ausstattungen aus.
Das Hauptgebäude ist ein modernistischer, vierstöckiger Bau, der mit Blick auf eine sparsame, aber elegante Form entworfen wurde. Die Fassade besticht durch eine Harmonie aus einfachen Flächen, Loggien und Reihen großer Bronzefenster. Für den unteren Teil der Fassade wurde Granit verwendet, während die oberen Teile mit Sandstein in einem warmen Gelbton ausgeführt sind. Das Gesamterscheinungsbild verleiht dem Gebäude einen repräsentativen Charakter, der sich perfekt in den luxuriösen Trend des späten Funktionalismus einfügt.
Das Innere des 1938 fertiggestellten Gebäudes ist ebenso beeindruckend. In den Treppenhäusern sind viele Originalelemente wie Türen und Marmorböden erhalten, ebenso wie eine einzigartige Balustrade, die drei Materialien kombiniert: Holz, Metall und Glas. Holz dominiert die Komposition und bringt Wärme und Eleganz in den Gemeinschaftsraum.
Innenraum. Foto WUOZ
Das Stadthaus von Helena Pal ist nicht nur das Vorderhaus, sondern auch der Rest des Komplexes ist auf eine optimale Raumnutzung ausgelegt. An der Rückseite des Grundstücks wurde ein C-förmiges Nebengebäude errichtet, das an der Ostseite einen offenen Hof bildet. Das Nebengebäude wurde durch ein asymmetrisches Verbindungsstück mit dem Vorderhaus verbunden, so dass drei separate, gut belichtete Höfe entstanden. Dies war eine innovative Lösung, vor allem im Zentrum Warschaus, wo noch immer traditionelle und dunkle Innenhöfe und Studios vorherrschen.
In den unteren Etagen des Mietshauses wurde auf Wunsch von Helena Pal Platz für ein Musiktheater geschaffen. Bereits 1939 nahm hier das Malicka-Theater unter der Leitung der Schauspielerin Maria Malicka seinen Betrieb auf. Leider brachte die Zeit der deutschen Besatzung radikale Veränderungen mit sich. Das Gebäude wurde in das so genannte Deutsche Viertel eingegliedert, und das Theater wurde in das Kino Deutsches Filmtheater“ umgewandelt. Die Familie Pal lebte bis 1943 in dem Mietshaus. Helena Pal ging jedoch nicht nur als Gründerin des Hauses in die Geschichte ein, sondern auch als eine Person, die sich für wohltätige Zwecke einsetzte. Sie unterstützte finanziell die Taubstummenanstalt und förderte die Inventarisierungsarbeiten auf dem evangelischen Augsburger Friedhof.
Ort der Vergeltungsaktion „Mitropa“, das „Deutsche Filmtheater“ in der Marszałkowska-Str. 8. Das Foto stammt aus der Wochenzeitung Stolica, Nr. 14/15 (1374/75) vom 07.04.1974
Das Mietshaus von Helena Pal hat den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden überstanden. Heute beherbergt es das Varieté-Theater und Privatwohnungen. Im Jahr 2018 wurde das Gebäude einer umfassenden Renovierung unterzogen, bei der die vordere Fassade restauriert wurde. Die Arbeiten umfassten die Reinigung und Wiederherstellung des Sandsteins, den Ersatz oder die Konservierung der Fensterrahmen und die Erneuerung des Erdgeschosses des Gebäudes. Dabei wurde darauf geachtet, dass alle Änderungen dem historischen Charakter des Gebäudes entsprechen.
Das Mietshaus im Jahr 1939 und 2024. Quelle: Nationalarchiv in Warschau und WhiteMAD/Mateusz Markowski
am 24. Juli 2012 wurde die Immobilie in das städtische Denkmalregister der Stadt Warschau eingetragen, was eine Absicherung gegen mögliche nachteilige Veränderungen in der Zukunft darstellt. Heute ist das Mietshaus von Helena Pal ein Beispiel für eine meisterhafte Kombination aus Vorkriegs-Eleganz, Funktionalität und innovativen städtebaulichen Lösungen und stellt ein wichtiges Element des Warschauer Kulturerbes dar.
Quelle: lapidarium.fundacja-hereditas.pl, polenausfreierwahl.de
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