fot. Zygmunt Put, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Krakauer Avantgarde: das faszinierend bizarre Mietshaus Pod Pająkiem

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Krakau trotz seines konservativen Geistes zum Schauplatz außergewöhnlicher architektonischer Experimente. Dank Künstlern wie Teodor Talowski entstanden hier Stadthäuser, die sich nur schwer in einen einzigen Stil einordnen lassen. Sie kombinierten Elemente der Neugotik, des Jugendstils, des Manierismus oder der mittelalterlichen Romantik und schufen so eine ganz eigene Bildsprache. Obwohl sie als Wohnhäuser errichtet wurden, waren sie gleichzeitig ein künstlerisches Manifest und ein persönliches Glaubensbekenntnis ihrer Schöpfer. Eine der charakteristischsten Realisierungen dieser architektonischen Avantgarde ist das Mietshaus Pod Pająkiem in der Karmelicka-Straße.

Das Mietshaus Pod Pająkiem – ein Haus voller Geheimnisse

Das 1887-1890 errichtete Wohnhaus Pod Pająkiem ist einer der originellsten Entwürfe von Teodor Talowski. Der Architekt hat es nicht nur entworfen, sondern es auch zu seinem Zuhause gemacht. Von Anfang an plante er, dass es ein Gebäude voller Symbole, unregelmäßiger Formen und dekorativer Überraschungen werden sollte, das sich von allen anderen unterscheidet. Die Fassaden des Gebäudes erzählen zwei verschiedene Geschichten. Von der Batory-Straße aus sieht das Haus wie eine bedrohliche Burg aus, während es von der Karmelicka-Straße aus mit der Fantasie einer bürgerlichen Residenz mit „spinnenartigen“ Details überrascht. Das Stadthaus von Talowski ist ein Werk, das sich einer Klassifizierung entzieht. Es ist wie eine Collage von Stilen und Inspirationen, die der Autor auf eine sehr persönliche und konsequente Weise zusammengefügt hat. Seine Architektur ist ein Dialog mit der Vergangenheit, aber auch ein bewusstes Spiel mit Form, Material und der Vorstellungskraft des Betrachters.

Asymmetrische Form und Dramatik

Das Gebäude ist dreigeschossig und wurde auf einem unregelmäßigen Grundriss errichtet, der auf die ungewöhnliche Form des Grundstücks zurückzuführen ist. An der Kreuzung der Karmelicka- und der Batorego-Straße entwarf der Architekt einen charakteristischen Eckstumpf, der nicht nur die Geometrie abschwächt, sondern auch zum Höhepunkt der Komposition wird. Hier erhebt sich der Eckturm, der die Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich zieht. Das Viereck, das von einem stilisierten Turm gekrönt wird, erinnert an mittelalterliche Verteidigungsanlagen, und dieser Eindruck wird durch die Zinnen, die es krönen, noch verstärkt. Die Fassaden sind mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die visuelle Wirkung gestaltet: Ihre Asymmetrie, das Fehlen klassischer horizontaler und vertikaler Gliederungen und die Anhäufung dekorativer Formen vermitteln den Eindruck einer lebendigen, pulsierenden Fassade, die eher an eine Theaterkulisse als an ein herkömmliches Stadthaus erinnert.

photo by Zygmunt Put, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Materialien: Dialog über Farbe und Textur

Talowski entschied sich für eine breite Palette von Materialien. Die Wände wurden aus dunkelroten Klinkern, Zendrow und Biberschwanzziegeln gemauert, wodurch ein ungleichmäßiger Alterungseffekt entsteht. Diese scheinbare Zufälligkeit war durchaus beabsichtigt: Der Architekt wollte, dass das Haus so aussieht, als sei es im Laufe der Jahrhunderte wieder aufgebaut worden. Hinzu kommen zahlreiche Details aus hellem Stein, die mit dem Backstein kontrastieren, die Plastizität der Formen betonen und ihnen Tiefe verleihen. Die im Jahr 2000 durchgeführte Renovierung hat diesen beabsichtigten Kontrast noch verstärkt, ebenso wie Details wie die in die Fassade eingelassenen Kanonenkugeln – ein weiteres Element, das den Eindruck des Alters des Gebäudes verstärken soll.

Ein Detail wie eine in Stein gemeißelte Geschichte

Das Gebäude wäre nicht so besonders ohne ein umfangreiches ikonografisches Programm. An der Fassade in der Karmelicka-Straße fällt der holländische Giebel mit Wappenschildern auf, der die Fassade „hinabzusteigen“ scheint und einen seltenen Effekt der Verschmelzung von Formen erzeugt. Zwischen den Voluten befinden sich eine Spinne, von der das Gebäude seinen Namen hat, sowie eine Sonnenuhr und ein Basrelief der Sonne. Darunter befindet sich die Jahreszahl der Erbauung. Auch der Erker im ersten Stockwerk zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Seine manieristische Form mit Pilastern, Gesims und lateinischer Inschrift verleiht der Fassade einen monumentalen Charakter. Die Inschrift „Si Deus nobiscum quis contra nos“ (Wenn Gott mit uns ist, wer kann gegen uns sein) ist nicht nur dekorativ, sondern auch der Schlüssel zum Verständnis der geistigen Ebene des Gebäudes. Darunter befindet sich eine ägyptische Sonnenscheibe mit einem Vogelkopf – ein Symbol der Sonne und des Lichts, das auch in vielen Kulturen als Zeichen der göttlichen Gegenwart gilt.

photo by Aneta Lazurek, CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons

Das Mietshaus Pod Pająkiem – Begrünung als Teil der Komposition

Eine seltene und überraschende architektonische Behandlung sind die speziellen Rinnen in den Fassaden, die als Stützen für wilde Weinreben dienen sollten. Talowski plante, dass die Vegetation, die sich um die Mauern wickelt, nicht nur dekorativ sein sollte, sondern auch eine symbolische Ergänzung zur Botschaft des Gebäudes darstellt – ein vergängliches, organisches Element im Gegensatz zum steinernen „Körper“.

Das Mietshaus Pod Pająkiem ist bis heute eines der originellsten Gebäude in Krakau. Es ist ein Beispiel dafür, wie sich in städtischen Gebäuden eine ganze Geschichte über Zeit, Glauben, Kunst und Vergänglichkeit verbergen kann.

Quelle: zabytek.pl

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