Fot. Stary Poznań Then and Now

Metamorphose im Poznań-Stil. Geschichte des Gerichtsgebäudes an der Marcinkowskiego-Allee

Im Laufe von mehr als 150 Jahren erlebte die Ecke der Al. Marcinkowskiego und der Solna-Straße im Zentrum von Poznań bedeutende städtebauliche, politische und architektonische Veränderungen. Hier wurde zwischen 1873 und 1875 das prächtige Königliche Landgericht in Posen errichtet, eines der wichtigsten Amtsgebäude der preußischen Ära in der Stadt. Seine bewegte Geschichte spiegelt das Schicksal von Posen selbst und die wechselnden politischen Gegebenheiten wider.

Preußische Stiftungen der Justiz (1873-1919)

Die Entscheidung, ein neues Gericht zu bauen, wurde im Rahmen der Entwicklung der Justizinfrastruktur in den preußischen Teilungsgebieten getroffen. Der Entwurf des Gebäudes stammt von Heinrich Koch, die endgültige Genehmigung und Ausarbeitung erfolgte durch den Architekten Heinrich Ludwig Alexander Herrmann. Das monumentale Gebäude wurde an der Stelle eines ehemaligen Salzlagers mit Verwaltungs- und Lagercharakter errichtet. Auf einem L-förmigen Grundriss mit der Hauptfassade zur damaligen Wilhelmstraße (heute Aleje Marcinkowskiego) gelegen, war der Neubau ein Musterbeispiel für den Stil der Berliner Schule der Architektur. Die gelbe und rote Klinkerfassade, dekorative Risalite, Loggien und Anklänge an die italienische Renaissance trugen zur Raffinesse des Gebäudes bei. Charakteristisch waren auch plastische Details wie die Figuren von Themis und Nemesis, Greifen an den Ecken und Reliefs, die Gerechtigkeit und die Macht des Gesetzes symbolisierten. Das Innere und die funktionelle Gestaltung waren den Erfordernissen eines Gerichtsgebäudes untergeordnet. Es gab einen zweiten Eingang auf der Seite der heutigen Solna-Straße, und hinter dem Gebäude befanden sich die Gefängniskomplexe, die durch einen begrünten Innenhof vom Hauptgebäude getrennt waren.

Die Zwischenkriegsjahre – das Gericht im unabhängigen Polen (1919-1939)

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Polens wurde das Gebäude von den polnischen Justizbehörden verwaltet. Bereits 1919 fanden hier die ersten Gerichtsverhandlungen statt, und ein Jahr später wurde die Institution offiziell in das polnische Bezirksgericht in Poznan umgewandelt. Während der gesamten Zweiten Republik spielte das Gebäude eine Schlüsselrolle im Justizwesen.

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Das Gebäude in den 1930er Jahren Quelle: NAC – National Digital Archive

Zerstörung während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945)

Während der nationalsozialistischen Besatzung wurde das Gebäude erneut zum Sitz des deutschen Landgerichts, das von Georg Braun geleitet wurde. Die Kriegsjahre hinterließen am Gebäude selbst tragische Spuren. Während der heftigen Kämpfe um die Stadt und die nahe gelegene Zitadelle im Jahr 1945 kam es zu einem Brand, der das Gebäude schwer beschädigte. Das repräsentative Gebäude verwandelte sich in eine ausgebrannte Ruine, aber die Umfassungsmauern blieben größtenteils erhalten.

Abrissentscheidung und neues Leben (1949-1953)

Im März 1949 beschloss die Architekturkommission jedoch den Abriss des Gerichtsgebäudes, eine Entscheidung, die völlig unverständlich erscheint. Es blieben nur noch Fragmente der Kellerwände und der Fundamente übrig. An ihrer Stelle wurde zwischen 1952 und 1953 ein neues Gebäude errichtet, das noch heute die Westfassade der Marcinkowskiego-Allee dominiert. Für den Entwurf des neuen Gerichtsgebäudes zeichnete der Architekt Stanisław Pogórski verantwortlich. Das neue Gebäude behielt seine Monumentalität und die klassischen Proportionen bei, doch seine Form war bereits der Ästhetik der Nachkriegsmoderne mit klassizistischen Elementen untergeordnet. Das auf einem rechteckigen Grundriss mit einem Innenhof errichtete Gebäude bewahrt Symmetrie und Zurückhaltung im Detail. Die Fassade trägt das lateinische Motto Justitia omnibus fiat – „Gerechtigkeit für alle“.

Foto Alt-Poznań damals und heute

Die Gegenwart – das Gericht für die Einwohner der Stadt (von 1953 bis heute)

Jahrzehntelang diente das neue Gebäude als Sitz des Bezirksgerichts Poznań. Zwischen 1996 und 1997 wurde das letzte Stockwerk über dem bekrönenden Gesims aufgesetzt, wobei darauf geachtet wurde, die architektonische Harmonie des Gebäudes zu erhalten. Seit dem 1. Juli 2015 hat auch das Bezirksgericht Poznań-Neustadt und Wilda seinen Sitz in dem Gebäude.

Das Gerichtsgebäude als Symbol für

Obwohl das ursprüngliche preußische Gebäude die Kriegs- und Nachkriegsbrände nicht überlebt hat, ist seine Geschichte noch immer lebendig. Sie lässt sich sowohl in Dokumenten als auch in erhaltenen Fotografien nachlesen. Das moderne Gerichtsgebäude, das auf seinen ehemaligen Fundamenten steht, ist eine symbolische Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und ein Zeichen für die Kontinuität der Idee der Gerechtigkeit, unabhängig von Regime und Zeit.

Quelle: Das alte Poznań damals und heute, codziennypoznan.pl

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Aleje Marcinkowskiego auf einer Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert und vor ein paar Jahren. Foto: MKZ in Poznań und Alt-Poznań damals und heute

Blick auf das Gebäude von der Solna-Straße aus – 1905 und 2020. Foto: cyryl.pl/Wikimedia Commons und Stary Poznań Damals und Heute

Das zerstörte Gebäude in den Nachkriegsjahren und heute. Foto: MKZ in Poznań und Alt-Poznań damals und heute

Der Eingang in den 1930er Jahren und heute. Quelle: NAC – Nationales Digitales Archiv und Altes Posen damals und heute

Das Gebäude in den 1930er Jahren und heute. Quelle: NAC – Nationales Digitales Archiv und das alte Posen damals und heute