Die Privatvilla des Architekten Otto Wagner ist wohl eines der seltsamsten Beispiele des berühmten Wiener Jugendstils. Von außen ähnelt das Gebäude italienischen Palästen aus dem späten 16. Jahrhundert, doch die phantasievollen, märchenhaften Verzierungen verraten den Jugendstilgeist der Villa. Interessanterweise waren die städtischen Behörden nicht weit davon entfernt, dieses architektonische Kleinod abzureißen, aber der Künstler Ernst Fuchs rettete die Villa und baute sie wieder auf. Seit ihrer Errichtung war die Wagner-Villa ein Treffpunkt für Künstler wie Gustav Klimt und Egon Schiele.
Gelangweilt von den Klassikern
Wie die meisten der späteren Jugendstilisten begann auch Otto Wagner seine Karriere mit dem Entwurf historistischer Gebäude und Stadthäuser. In den 1880er Jahren hatte der Architekt bereits einige bedeutende Projekte in Österreich-Ungarn und darüber hinaus realisiert. Darüber hinaus bewegte sich Wagner unter anderen Wiener Architekten wie Emil von Förster und Max Fabiani, deren Entwürfe noch heute z. B. in Bielsko-Biała (Theater und Barlickiego 1) zu bewundern sind.
Während die historistischen Wiener Bauten durch ihren Monumentalismus begeisterten, schrieb Wagner vor allem durch seine Jugendstilentwürfe Geschichte. Goldverzierungen auf Schmiedeeisen zeichneten Wagners Kirchen und Pavillons aus, die Wien einen eigenen Jugendstilcharakter verliehen. Projekte wie die einst auf WhiteMAD beschriebene Kirche am Steinhof oder das nicht minder bedeutende Majolikahaus prägten das Erscheinungsbild der Prunkkirchen und Bürgerhäuser dieser Zeit.
Das markante Haus
In Wagners Geschichte steht jedoch zwischen Historismus und Jugendstil etwas in der Mitte. Seine eigene Villa ist ein Beispiel für den so genannten Palladianismus mit Jugendstildetails. Der italienische Architekt Antonio Palladio entwarf Gebäude, die auf großer Ordnung, Symmetrie, strukturiertem Dekor und klassischen Formen basierten. Obwohl Palladio im 16. Jahrhundert schuf, überdauerten seine Ideen noch mehrere Jahrhunderte. Wagner nutzte den italienischen Stil, um eine monumentale, historisierende Fassade mit einem Säulengang zu schaffen. Man sieht sofort, wie die schweren ionischen Säulen den Körper des Gebäudes dominieren, während die beiden niedrigeren Flügel an der Rückseite versteckt sind. Interessanterweise befindet sich das Gebäude heute im Stadtteil Penzing, der ehemaligen Heimatstadt Wagners.
Was Wagners Villa von anderen palladianischen Bauten unterscheidet, sind die wegweisenden Formen und Verzierungen des Jugendstils. Man darf nicht vergessen, dass es sich um ein Gebäude aus dem Jahr 1888 handelt: Klassisches Weiß mischt sich mit Jugendstiltürkis und das Ganze wird mit Gold gekrönt. Auffallend sind die griechisch-römischen Kassetten, Friese und Maskarons, wobei die rubensische Frauenfigur besondere Aufmerksamkeit erregt. Interessanterweise steht die barocke Form der Frau im Zusammenhang mit dem künstlerischen Geschmack des Bildhauers Ernst Fuchs, der die Bronzeskulptur schuf. Die Frau soll eine Anspielung auf die biblische Königin Esther sein, die die Israeliten vor dem Untergang bewahrte. Der Sonnenuntergangsbaldachin hingegen repräsentiert orientalische Inspirationen und Metallornamente der kommenden Epoche. Bemerkenswert sind auch die muschelförmigen, schmiedeeisernen Balustraden. Einerseits könnte dies eine Anspielung auf die Barockkunst (Botticelli) sein, andererseits wirkt eine solche geschwungene Form wie ein Vorspiel zum Jugendstil. Zur Verdeutlichung sei angemerkt, dass viele der Details erst mehrere Jahrzehnte später vom neuen Eigentümer hinzugefügt wurden.

Mehr als genug gespart
Von außen sieht das Gebäude mehr oder weniger so aus wie zu Wagners Zeiten, aber die Inneneinrichtung ist zum Teil einem anderen visionären Künstler zu verdanken, Ernst Fuchs. Wagner verkaufte sein Haus 1912 und zog mit seiner Familie in die nebenan gelegene Villa II. Das frühmoderne Gebäude war viel kleiner, aber besser für das Familienleben geeignet. Die erste Villa wurde von einem jüdischen Theatermagnaten gekauft, der das Gebäude jedoch bereits 1938, nach der Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich, räumen musste. In den Kriegsjahren fiel die Villa in die Hände der Hitlerjugend, und nach dem Krieg verfiel das Gebäude. In den 1960er Jahren wollte die Stadtverwaltung das Gebäude sogar abreißen und an seiner Stelle eine Tankstelle errichten, doch die Künstler Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser kauften die Villa und bewahrten sie vor einem traurigen Ende.
Fuchs rettete das Haus nicht nur vor dem Abriss, sondern renovierte es auch vollständig und baute es neu auf. Seine Gemälde fügten sich gut in das Jugendstilinterieur des Hauses ein, weshalb man heute die Symbiose von Wagners Stil mit Fuchs‘ Bildern bewundern kann. Der Künstler war ein Vertreter der Wiener Schule des phantastischen Realismus, der von Erotik, surrealistischen Formen, psychedelischen Farben und religiösen Motiven durchdrungen war.
Leider hat die jahrelange Vernachlässigung viele Räume, darunter auch den repräsentativen großen Salon, ruiniert. Früher waren an den Wänden des Raumes Wagners Lieblingsgemälde, hauptsächlich Reproduktionen barocker Werke, zu bewundern. Fuchs fand jedoch einen dunklen Raum in Trümmern vor, den er mit hellem Marmor und Goldornamenten umgestaltete. An den Wänden hängen venezianische Vorhänge, und eine interessante Besonderheit ist ein Kronleuchter im Stil von Muranoglas. Erwähnenswert ist auch, dass die dunklen Barockgemälde durch die intensiven Farben der Gemälde von Fuchs ersetzt wurden. Der Künstler erwarb auch Jugendstilskulpturen aus dieser Zeit, um das Ganze zu vervollständigen.

Symbiose
Im Obergeschoss schuf Fuchs ein römisches Bad mit Mosaikmotiven von Paradiesvögeln und Vegetation. Das Mosaik ist das Werk eines Wiener Jugendstilkünstlers, was zur Authentizität der Einrichtung beiträgt. Der Raum beeindruckt mit bemalten Säulen und einer Decke, die an den Nachthimmel oder dunkelblauen Marmor mit Maserung erinnert. In der Mitte des Bades kann man eine Reihe von Skulpturen sehen, die eine Sphinx darstellen. Es handelt sich um Werke von Fuchs aus den 1970er Jahren, die in ihren großzügigen Formen gut mit der auffälligen Skulptur an der Fassade korrespondieren.
Der rechte Flügel der Villa ist vor allem das ehemalige Spielzimmer. Leider ist nicht bekannt, wie der Raum ursprünglich aussah, aber sicher ist, dass Wagner oft Billard, Kegeln oder Kartenspiele spielte. Fuchs wollte dem Architekten Tribut zollen und verwandelte sein zerstörtes Spielzimmer in einen charmanten Salon, der klassische Formen mit Jugendstildekorationen verbindet. Die Wände werden von Fliesen dominiert, die an iberische Azulejos erinnern. Man beachte die goldenen und floralen Details an den Wänden und Lampen. Über dem Zimmer wiederum hängt Lapislazuli-Glas mit goldenen Sternen. All dies ist das Werk von Fuchs, der den Geschmack des damals verstorbenen Meisterarchitekten perfekt getroffen hat. Natürlich durfte in diesem Raum auch das fantastische Gemälde des Künstlers nicht fehlen, das wiederum die Figur der Königin Esther zeigt.
Im linken Flügel schließlich können Sie das erhaltene Adolf-Böhm-Zimmer bewundern. Es war der Jugendstilmaler und Grafiker Böhm, der die erstaunlichen Tiffany-Glasmosaike anfertigte. Das vielfarbige Glas färbt den weißen Innenraum im Sonnenlicht, während die goldenen Jugendstildekorationen an den Wänden leuchten. Auffällig sind die charakteristischen Rundungen und floralen Motive. Zu diesem erhaltenen Werk Wagners fügte Fuchs noch etwas von seiner Kunstfertigkeit hinzu, indem er ein geheimnisvolles Triptychon anbrachte. Das Gemälde stellt apokalyptische Motive mit Christus im Vordergrund dar. Mystik und Symbolik verwandeln den Böhm-Saal in eine Kunstkapelle. Interessanterweise beziehen sich dieses und andere Gemälde auf die Kriegserlebnisse des jungen Fuchs.

Museum der zwei Genies
Erwähnenswert ist auch, dass zwischen den Wagner-Villen I und II ein kleines byzantinisch verziertes Gebäude mit einem Brunnen namens Nymphaum Omega steht. Die Ornamente des Gebäudes erinnern an orientalische Palastpavillons, und das Ganze erinnert an Pfauenfedern. Darüber hinaus ist der Brunnen mit einem Tiffany-Glasmosaik und einer Moses-Statue ausgestattet. Im Inneren verbirgt sich ein apokalyptischer Raum mit goldenen Engeln und der Jungfrau Maria.
Ernst Fuchs starb 2015, und in der Villa wurde ein Museum eingerichtet, das seinem Werk gewidmet ist. Heute können Besucher nicht nur die Kunstfertigkeit seiner Gemälde, sondern auch Wagners architektonisches Schaffen bewundern. Die Villa Otto Wagner I in Wien ist nicht nur ein ästhetisch ansprechendes Objekt, sondern vor allem ein wegweisendes Projekt eines prominenten Architekten. Die Ursprünge des Jugendstils gingen vielen anderen Architekten voraus, und Ernst Fuchs gelang es in den 1970er Jahren, die Innenräume meisterhaft im Sinne des ursprünglichen Entwerfers umzugestalten. Es ist schwer zu sagen, ob Wagners Erfindungsreichtum oder Fuchs‘ künstlerische Vision reizvoller ist.
Quelle: Ernst-Fuchs-Museum
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