Es gibt wohl kaum ein aussagekräftigeres Beispiel für den Niedergang Venezuelas als El Helicoide in der Hauptstadt. Das in der Ära der Jimenez-Junta entwickelte Projekt sollte das luxuriöseste und beeindruckendste Geschäftszentrum Venezuelas werden. Ein Hotel, Kinos, Boutiquen und ein Hubschrauberlandeplatz hätten der Welt den Ölreichtum des Landes vor Augen führen sollen. Instabilität und Krisen in der Regierung ließen das Projekt jedoch über Jahre hinweg im Sande verlaufen. Zum noch größeren Unglück der leidenden Nation verwandelte Präsident Maduro im 21. Jahrhundert das ungewöhnliche Bauwerk in ein Gefängnis für politische Feinde.
Eine Demonstration des Turms von Babel
Im Jahr 1948 übernahm eine Militärjunta durch einen Putsch die Macht in Venezuela. Nach einigen Jahren ging der Diktator Marcos Perez Jimenez aus dem Umsturz hervor. Natürlich blieb dieses Ereignis nicht ohne Wahlmanipulationen und Unterdrückung der politischen Opposition. Jimenez begann mit millionenschweren Investitionen in Form von Autobahnen, Brücken oder imposanten Regierungsgebäuden, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Eine der Vorzeigeinvestitionen dieser Zeit war das Einkaufszentrum El Helicoide, dessen Bau 1955 unter der Leitung von Jose Gutierrez, Pedro Neuberger und Dirk Bornhorst, die für ein privates Unternehmen arbeiteten, begann. Die Arbeiten verliefen jedoch schleppend, und es dauerte fast zwei Jahre, bis das Gelände gestaltet war. Das Gebäude sollte auf dem Hügel Roca Tarpeya errichtet werden, der in die Form von Stufen gehauen werden musste. Interessanterweise war die Gegend um den Hügel von Menschen bewohnt, die in schwierigen materiellen Verhältnissen lebten. Es sei daran erinnert, dass dies zu einer Zeit geschah, als das Pro-Kopf-BIP von Venezuela mit dem von Irland vergleichbar war.
Das Gebäude sollte ein wahr gewordener Traum für wohlhabendere Bürger sein. Eine 4 km lange Rampe führt zu den verschiedenen Ebenen des Einkaufszentrums. Die sechs Etagen, die sich nach unten erstrecken, sollten verschiedene Dienstleistungseinrichtungen beherbergen, wie z. B.: 300 Boutiquen, acht Kinos, Schwimmbäder, Nachtclubs und ein Fünf-Sterne-Hotel. Für die siebte Etage sahen die Architekten eine geodätische Kuppel aus Aluminium vor, die in den 1940er Jahren von Richard Fuller entwickelt wurde. Das modernistische Prunkstück sollte auch durch seine technische Raffinesse überraschen. Der Hubschrauberlandeplatz und die diagonalen Aufzüge waren bereits ein Hinweis auf den besonderen Status des Projekts.
Erwähnenswert ist auch, dass El Helicoide auch als Ausstellungszentrum fungieren sollte. Jimenez wollte, dass die Errungenschaften des Landes in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, Industrie, Landwirtschaft und Kunst dort ausgestellt werden sollten. El Helicoide entwickelte sich zur „Halle der Nation“. Aus diesem Grund sollte das interessante Design, das an eine Doppelspirale (die Form einer Schraubenfläche) erinnert, von überall in Caracas zu sehen sein. Interessanterweise sollte Roberto Burle Marx für die Gestaltung der Gärten und Grünanlagen auf dem Gelände verantwortlich sein. Der berühmteste Landschaftsarchitekt Brasiliens beteiligte sich letztlich nicht an dem Vorhaben des Diktators.
Verwirrung in der Sprache der Politik
Ein weiterer Versuch von Jimenez, das Referendum zu manipulieren, führte zum Ende der Junta-Herrschaft. Ein Putsch der Opposition zwang den Diktator zur Flucht aus dem Land, und die neue Regierung von Romulo Betancourt übernahm das ganze Chaos. Es ist erwähnenswert, dass die Zeit der Diktatur durch ein überraschend hohes Wirtschaftswachstum gekennzeichnet war, aber nach dem Putsch von 1958 wurde deutlich, dass das Land eine unvorstellbare Auslands- und Binnenverschuldung aufwies. Glücklicherweise ging Venezuela dank der stetigen Gewinne aus der Ölförderung nicht in Konkurs.
Unmittelbar nach dem Sturz der Diktatur gab es einige Hoffnungen auf die Vollendung von El Helicoide. Eine helfende, geschäftstüchtige Hand wurde von den Amerikanern ausgestreckt, die 1961 anboten, bei der Finanzierung der Investition zu helfen. Das Projekt wurde sogar im New Yorker MoMA als Beispiel für moderne und ambitionierte venezolanische Architektur ausgestellt. Doch trotz des Hilfsangebots ging das Geld aufgrund rechtlicher Probleme nicht an die Baufirma.
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Das Vorzeigeprojekt, das noch unter der vorherigen Regierung gebaut wurde, geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Ein privater Investor verschuldete sich beim Staat, was schließlich dazu führte, dass die venezolanische Regierung die Anlage übernahm. In den 1960er Jahren verfiel die Anlage und die importierte Ausrüstung wurde gestohlen. In den 1980er Jahren hingegen begannen die Behörden nach und nach mit der Fertigstellung des Gebäudes. Als erstes zog die Direktion des Nationalen Geheimdienstes DISP (Dirección Nacional de los Servicios de Inteligencia y Prevención) in das Gebäude ein. Die Regierungsstelle führte auch Aktivitäten zur Verhinderung weiterer Umstürze durch. In den 1990er Jahren waren einige der unteren Stockwerke fertiggestellt worden, und 1992 fielen Bomben auf das Gebäude. Der Überfall wurde von den rebellischen Truppen der Revolutionäre von Hugo Chavez durchgeführt. Diesmal war es ein linker Putsch, der die Macht in Venezuela übernehmen sollte.
Von der Diktatur zur Diktatur
Der Putsch von 1992 endete mit der Verhaftung von Chavez. Die extreme Linke stimmte für Chavez, aber auch ein Teil der Rechten, die sich nach der Diktatur von Jimenez sehnte. Der Präsident regierte vier Amtszeiten lang, was sich negativ auf die Wirtschaft Venezuelas auswirkte. Im Jahr 2013. Chavez starb und der wirtschaftliche Zusammenbruch entwickelte sich unter seinem Nachfolger, Nicolas Maduro. Unter seiner Herrschaft breitete sich das Elend im ganzen Land aus. Interessanterweise ist es auch dieser Punkt in der Geschichte des Landes, an dem der Fall von El Helicoide zur Sprache kommt. Maduro verwandelte das Gebäude in ein berüchtigtes Gefängnis. Wie in den Medien berichtet wird, sind die Bedingungen in den Zellen grauenhaft und Folter ist für die Insassen an der Tagesordnung.
El Helicoide ist das bei weitem ehrgeizigste und auffälligste Symbol für den Niedergang des Landes, das seit Jahrzehnten keinen Frieden finden konnte. Jimenez‘ Ambitionen hatten ihren Preis, und die nachfolgenden Ereignisse in der venezolanischen Geschichte haben das Projekt praktisch begraben. Das modernistische Bauwerk hätte eines der beeindruckendsten Beispiele der Architektur jener Zeit sein können, ein Symbol für das ganze Land. Allerdings muss man zugeben, dass das monumentale Gefängnis eines anderen Diktators des „Landes der Gnade“ etwas Faszinierendes an sich hat.
Quelle: BBC
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