Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Warschauer Viertel Mirów voller Mietshäuser, die an der Wende vom 19. zum 20. Viele von ihnen wurden bei Luftangriffen und während des Warschauer Aufstands beschädigt oder völlig zerstört. Der letzte Abschnitt der Chmielna-Straße ist bis heute nur noch spärlich erhalten – die zerstörten Gebäude wurden abgetragen und einige für Neubauten abgerissen. Das Gebäude in der Chmielna-Straße 102 steht, wenn auch nicht ohne Veränderungen und Vereinfachungen, immer noch zwischen den neueren und höheren Gebäuden und erinnert uns hartnäckig an die Geschichte des Viertels.
Das Mietshaus wurde 1901-02 für den Unternehmer und Steinmetz Boruch Zybert als vierstöckiges Mietshaus mit einem von Nebengebäuden umgebenen Hinterhof errichtet. Der Mann besaß noch weitere Immobilien, unter anderem in der Poznańska-Straße 37.
Das Gebäude aus Chmielna hatte eine neobarocke Dekoration, wobei das Erdgeschoss mit Rustizierungen verziert war. Im untersten Stockwerk befanden sich außerdem Vitrinen in Form von Arkadenöffnungen. Die zehnachsige Fassade war mit extremen Risaliten verziert. Oberhalb der Gesimslinie wurden in Verlängerung der Risalite Ausstellungen mit halbrunden Fenstern angebracht. An der Vorderfassade waren ursprünglich Balkone mit Balustern und schmiedeeisernen Geländern angebracht. Vor dem Krieg befand sich in dem Gebäude die Schneiderei von Tomasz Kondracki.
Das Mietshaus in der Chmielna-Straße 102 in den Jahren 1938 und 2024. Quelle: Staatsarchiv in Warschau und whiteMAD/Mateusz Markowski
Nach dem Krieg und dann in den 1960er Jahren wurde das noch erhaltene Mietshaus renoviert bzw. verwüstet. Damals wurde die gesamte Dekoration des Gebäudes, einschließlich der Balkone, zerstört. Auch das oberste Stockwerk, das über Fassaden verfügte, wurde aufgestockt. Die nackte Backsteinfassade wurde verputzt, wodurch der frühere Charme des Gebäudes völlig verloren ging. Die Tordurchfahrt hat sich ihren ursprünglichen Charakter bewahren können. Obwohl sie stark vernachlässigt wurde, zeugt sie noch immer von ihrer früheren Architektur. Von den ursprünglichen dekorativen Elementen sind die neobarocken Türen und Stoßstangen erhalten geblieben – leider nur im inneren Teil. Auch an den Wänden sind die alten Verzierungen noch zu sehen. Das gesamte Gebäude wird von einem Gewölbe überspannt, das die Form der Kuppeln hat und heute von einer Platte bedeckt ist. Auch die Treppenhäuser sind noch in ihrem alten Zustand, wenn auch in einem beklagenswerten.
Die Gebäude in der Chmielna-Straße in den Jahren 1938 und 2024. Quelle: Staatsarchiv in Warschau und whiteMAD/Mateusz Markowski
Das gesamte Gebäude wird derzeit nicht mehr genutzt. Das Gebäude steht seit Jahren im Abseits, in einer eher uninteressanten und optisch unattraktiven Gegend. Jetzt schießen rundherum neue Hotels und Bürogebäude aus dem Boden, und das Gebäude ist im Verfall begriffen. Wird die Veränderung des Status dieses Teils der Hauptstadt dem Gebäude gut tun? Die Zeit wird es zeigen.
Quelle: czmurek.pl, Historia Warszawy pisana cegłą
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